Warum London die beeindruckendste Stadt in Europa ist (… und ich trotzdem lieber in Wien lebe)

Es war das zweite One Way Ticket in meinem Leben. 5 Jahre nach meinem ERASMUS-Semester in Berlin wollte ich nochmals raus aus Wien. Für ein paar Wochen in einer anderen Stadt leben. Einfach weg, ohne großen Plan. Also ging’s zum Start meiner Bildungskarenz im März nach London.

Inzwischen bin ich zurück. Mit vielen vielen Eindrücken im Gepäck, die London für mich zur beeindruckendsten Stadt Europas machen.

Money, money, money

Dass mich London eine Stange Geld kosten wird, war mir von Anfang an klar. Dass es SO viel sein wird, hat mich dennoch überrascht: 350 Pfund (420€) pro Woche für ein 15m2 Apartment, dazu horrende Öffi Kosten im Vergleich zu Wien – das Monatsticket für Zone 1 (das Zentrum) kostet 145€, für alle 9 Zonen 377€. Jährlich macht das bis zu 4.000€. (V-i-e-r-t-a-u-s-e-n-d!) Ich hab mich mit Einzelfahrten begnügt (und olympische Distanzen zu Fuß zurückgelegt). Ja, der Punkt geht eindeutig an Wien.

Und doch war mir das Abenteuer jeden Cent wert. London ist die bunteste, kreativste, pulsierendste und (*nocheinenSuperlativeinsetzen*) Stadt, in der ich je war. Und dabei auch noch so wunderhübsch.

Eine Stadt voller Stil und Ääääction

Ich bin ja kein Architektur-Kenner. Aber das Stadtbild in London ist einfach nur wow. Das historische Zentrum, die stattlichen Wohnsiedlungen, die originellen Backsteinhäuser, mitten drin die modernen Designerbauten. Dazu die Vintage-Taxis, die feuerroten Doppeldecker Busse und die berühmten Londoner Telefonzellen. Alles wirkt so perfekt inszeniert. (Abgesehen vom Müll, der da und dort etwas mehr durch die Stadt segelt als in Wien)

Beeindruckend ist auch die Nutzung der Gewerbeflächen: An jeder Ecke finden sich Stylo-Cafes, schicke Restaurants und kleine Shops mit Wohnzimmeratmosphäre. Erstaunt haben mich die vielen “Healthy Fast Food” Angebote – neben Ketten wie Pret A Manger, Eat und Wasabi gibt’s nahezu in jedem Lokal leckere Tagessuppen. Vom Buffet bei Whole Foods fang ich gar nicht an zu schwärmen, sabber …

Wofür ich London aber am allermeisten liebe: In vielen Pubs gibt’s abends Live Bands (Britpop <3) oder Open Mic – oft for free. Nicht zu vergessen die vielen Stand Up Comedy Veranstaltungen. Uuund …. Das Freizeitangebot ist gigantisch. Wien ist sowas von schnarchig dagegen. Und stinkt – seit 2007 gilt in London ein komplettes Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden und Gaststätten, ohne doofe Ausnahmeregelungen. Und oh, die Pubs sind noch immer nicht ausgestorben ;) Ganz im Gegenteil, die sind an jedem Wochentag gut gefüllt.

Wer Äction will, muss aber gar nicht ins Pub. Zumindest in Hipsterville Camden (meinem Wohnort) reicht ein Schritt vor die Tür – tagtäglich ziehen dort Straßenperformer ihre Kuriositäten ab. Vom Clown mit der Mr. Bean Maske über den Jungen, der laut zur Musik in seinen Kopfhörern gröhlt, bis hin zum Mini-Rolling-Stone, der mitten auf der Straße eine gigantische Rockshow abliefert. Ja, London ist schon auch eine Stadt der Exzentriker. Wien ist dagegen sowas von Omi-Town.

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Trubel, Menschenmassen … oh, Idylle!

Manchmal kann der ganze Trubel aber auch too much werden. London gilt nicht ohne Grund als eine der stressigsten Städte der Welt, so mancher beschreibt die Menschenmassen “schlimmer als in Tokio”. Ich hab rasch gelernt, die Ubahn zu vermeiden. Die Doppeldecker Busse (hach!) bieten auf vielen Strecken aber eine gute Alternative – sie sind weniger überfüllt und auch günstiger.

“Greater London” hat nun mal so viele Einwohner wie ganz Österreich, 3 Mio leben in den inneren Bezirken. Dazu die Massen an Touris (London ist die meistbesuchte Stadt in Europa). Dennoch hab ich London abseits der Haupt-Sehenswürdigkeiten als sehr entspannte Stadt erlebt. Der Verkehr ist (dank der Citymaut) harmlos, die meisten Seitenstraßen und Wohnsiedlungen sehr idyllisch und die vielen riesigen Parks lassen die Großstadt schnell vergessen (London hat 1.700 öffentliche Grünanlagen, die jeweils mehr als 4.000 Quadrameter groß sind!).

Und dann ist da noch der britische Charme: Egal ob mitten auf der Straße, an der Supermarktkasse oder im Pub – in jeder Situation fällt ein freundliches Wort. Keine Spur von Raunzen, Jammern, Granteln. Sogar der Ton auf den Straßenschildern ist ein anderer: Statt “Rauchen verboten” liest man in London etwa “Thank you for not smoking”. Besonders verliebt hab ich mich in die Message Boards der Pubs und Cafes, die an jeder Ecke zu finden sind. (Ich hab sie a.l.l.e. fotografiert)

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Foursquare, Instagram und Time Out sind die besseren Reiseführer

Nachdem man mit Reiseführer sehr schnell als Touri enttarnt wird (und die Dinger viel zu schwer zum Herumschleppen sind), erkunde ich Städte am liebsten mit Foursquare (“Das Beste in der Nähe”) und Instagram (der Hashtagsuche, z.B. nach #London oder den Bezirke). Dazu gibt’s in London noch das “Time Out” Magazin, das eine großartige Übersicht über aktuelle Events, neue Lokale, die größten Schnäppchen und Schwachsinnigkeiten der Stadt bietet. (Kann das bitte jemand für Wien machen? Also die Eventseite, nicht die Klotour.)

Shoppen im Container

Auf einer unserer täglichen Erkundungstouren hab ich den Boxpark in Shoreditch entdeckt. Das Konzept der “Pop-up” Stores ist in London ja weit verbreitet – plötzlich vor einem Pop-up Einkaufszentrum zu stehen, hat mich dann doch etwas überrascht. Der Boxpark besteht aus 61 Schiffscontainern auf 2 Etagen: Auf der unteren Ebene befinden sich vorwiegend Shops von etablierten Marken und jungen Designern, am Dach haben sich Cafes, Foodstores und Galerien eingemietet.Urbanears hat im Boxpark seinen ersten Laden eröffnet, der Guardian ist mit einem “Open Journalism” Experiment vertreten (#guardiancoffee). 2015 muss der Boxpark weiterziehen, auf dem (ehemaligen Bahnhofs-) Gelände sollen Wohnungen, Geschäfte und Restaurants entstehen. Das Konzept scheint aber ein Erfolg zu sein und soll weiter ausgedehnt werden. Auch Amsterdam und Wien planen inzwischen ein eigenes Container-Shoppingcenter (Wien in der Krieau, hüstel).

Gratis in die Museen

Wer statt shoppen lieber ins Museum geht, ist in London im Paradies: Seit 2001 ist der Eintritt in sämtliche staatliche Museen und Galerien kostenlos. Darunter Perlen wie das Tate Modern mit Werken von Picasso, Matisse, Mirò und und und. Im Museumscafe schrieb die Dame neben uns an einem seitenlangen Text – bewirkt der freie Eintritt etwa, dass sich die Leute zum Arbeiten ins Museum begeben? Jederzeit durch die Ausstellung flanieren zu können, ist der Inspiration wohl auf jeden Fall zuträglich. Eine Liste der kostenlosen Museen gibt’s hier.
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London hat das Internetz verstanden

Nicht nur die Museen sind kostenlos – fast überall in der Stadt ist Free WiFi verfügbar. Insgesamt scheint London in Sachen Internetz wesentlich weiter zu sein als Wien und Rest-Österreich – auf nahezu jeder Werbeanzeige sind die digitalen Channels angeführt, sogar auf der Schinkenwerbung sind (dezent schwachsinnige) Hashtags abgedruckt. Ab Herbst führt Großbritannien als erstes Land der Welt außerdem “Programmieren” als Pflichtfach über die gesamte Schulzeit hinweg ein.

Wien, du wunderbare Omi-Stadt

Ihr merkt schon, London hat mich schwer fasziniert. Keine Stadt bietet für mich eine vergleichbare Kombi aus wunderschön und erlebnisreich. Im Moment hat Wien für mich etwas an Pracht verloren. Ich vermisse das bunte Treiben, die täglichen Entdeckungsreisen. Ich frage mich, warum es Städten wie Berlin und London so viel besser gelingt, Geschäftsräume nicht nur mit Konzernmarken, Biedermeier Cafes und öden Mampfstätten zu füllen, sondern mit kleinen, feinen Wohlfühl-Cafes, stilvollen Restaurants und bunten Läden. Liegt’s an der österreichischen Gewerbeordnung? Ist’s hierzulande risikoreicher, ein eigenes Geschäft zu eröffnen? Ich hab keine Ahnung.

Dennoch bin ich froh, zurück zu sein. Wien ist sicher nicht der vibrierendste Ort der Welt, im Gesamtpaket für mich aber die lebenswertere Stadt – alleine wegen der Lebenskosten, den fantastischen Öffis, dem vergleichsweise geringen Trubel, dem Wetter, den Stadtwanderwegen … Uuund man muss nicht jeden zweiten Tag 4 Liter Plastikflaschen Wasser nach Hause schleppen ;) In Sachen Knotz-Cafes und Stylo-Lokale hoff ich ja, dass Wien langsam aufholt (auch über Mariahilf und Neubau hinaus). Läden wie It’s all about the meat, die Pure Living BakerySaid the butcher to the cow, 12 Munchies oder die Coffee Pirates stimmen mich zuversichtlich.

Bleibt nur noch zu sagen: Wien, du wunderbare Omi-Stadt – bleib so wie du bist (werd nur ein wenig bunter). Und London: Bitte werd nicht “Dull-rich-people”-Town.

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Falls ihr demnächst einen Trip nach London plant, hier noch ein paar Tipps:

* Die schönste Aussicht über die Stadt gibt’s vom Primrose Hill (imho besser als die vom Parliament Hill)
* Mein Lieblingspub ist das Lock Tavern in Camden – dort gibt’s fast jeden Abend fantastische Newcomer Bands live, fantastische Burger und fantastisches Ale
* Als Ergänzung zu den klassischen Sights gibt’s “Alternative-Touren”
* Wer Märkte wie den Naschmarkt mag, wird den Borough Market lieben (dort gibt’s u.a. Burger mit Känguruh-, Zebra- oder Krokodil-Fleisch o.O, aber auch viele Veggie-Spezialitäten)
* Tee trinken mit Aussicht kann man im Tate Modern (zusätzlich sind die Museumsshops einen Besuch wert!)
* Gemütlich Zeitung lesen, Cafè schlürfen und ein modernes Medienunternehmen erleben kann man im #GuardianCoffee im Boxpark
* Den nächtlichen Lichterglanz der Stadt bestaunt man am besten bei einem Spaziergang entlang der Themse (z.B. vom Shakespeare’s Globe bis zur Tower Bridge)
* Die Event-Highlights der Woche (z.B. Stand Up Comedy) finden sich laufend unter http://www.timeout.com/london
* 3 günstige Unterkünfte in guter Lage sind der StayClub (Camden), das Meininger Hotel (Hyde Park), und das StaySafe

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